Interessenabwägungen in Wasserrechtsverfahren und die Rolle von erneuerbaren Energien darin

Dr. Martin Weiss, LL.B. LL.M.

Im Rahmen der letzten Ausgabe des gegenständlichen Magazins schrieb Dr. Martin Weiss, LL.B. LL.M. über das „übergeordnete öffentliche Interesse“ an erneuerbaren Energien. Der gegenständliche Beitrag schafft Einblicke, wie sich diese Erkenntnis auf die Ausnahmen des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots (§ 104a WRG) auswirkt. Abschließend folgt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Österreichischen Wasserkatalog.

Bevor auf das gegenständliche Thema detailliert eingegangen werden kann, werden zwei Punkte aus der letzten Ausgabe des gegenständlichen Magazins in Erinnerung gerufen:

 

1.) Bei einer Interessenabwägung geht es um die Gegenüberstellung unterschiedlicher öffentlicher Interessen, welche gewichtet und miteinander abgewogen werden. Was in welchem Ausmaß bei einer Interessenabwägung miteinzubeziehen ist, geben die jeweils anzuwendenden konkreten Rechtsvorschriften, wie zum Beispiel die im Wasserrecht zentralen § 104a und § 105 WRG, vor. Da Interessenabwägungen ein „bewegliches System“ darstellen, würde es deren grundlegender Systematik widersprechen, absolute Zahlen für dieselben heranzuziehen, weshalb Interessenabwägungen immer eine gewisse Wertentscheidung immanent ist.

 

2.) Mit erneuerbaren Energien gehen besonders gewichtige öffentliche Interessen einher, da ohne deren ausreichende Berücksichtigung automatisch auch andere öffentliche Interessen nicht ausreichend gewahrt werden könnten.

 

Gerade die soeben in Punkt 1.) genannten Rechtsnormen (§§ 104a, 105 WRG) spielen eine zentrale Rolle für oder wider ob eine Wasserkraftanlage genehmigt werden kann, oder nicht. § 104a WRG (Vorhaben mit Auswirkungen auf den Gewässerzustand - Verschlechterungsverbot) entstammt der dem Unionsrecht zugrundeliegenden RL 2000/60/EG (Wasserrahmenrichtlinie). Dabei hat die häufig diskutierte Weser-Entscheidung des EUGH ins Treffen geführt, wie das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot des § 104a WRG zu verstehen ist. Diese im Zuge der Weser-Entscheidung gewonnenen Erkenntnisse sind mittlerweile herrschende Ansicht und allseits bekannt. Auslegungsspielräume mit höchster Praxisrelevanz bestehen derzeit hinsichtlich dieser Norm gerade bei den Ausnahmen des Verschlechterungsverbots, wozu ich nun folgend überleite.

 

 

I. Die Ausnahmen von dem wasserrechtlichen Verschlechterungsverbot

 

Von dem in § 104a WRG festgeschriebenen Verschlechterungsverbot gibt es eine gesetzlich geregelte Ausnahmebestimmung. Demnach sind Verschlechterungen im Sinne des § 104a WRG in sehr engen Grenzen erlaubt. Dazu ist es gemäß § 104a Abs 2 WRG notwendig, dass:

 

1. „alle praktikablen Vorkehrungen getroffen wurden, um die negativen Auswirkungen auf den Zustand des Oberflächenwasser- oder Grundwasserkörpers zu mindern und

 

2. die Gründe für die Änderungen von übergeordnetem öffentlichem Interesse sind und/oder, dass der Nutzen, den die Verwirklichung der in §§ 30a, c und d genannten Ziele für die Umwelt und die Gesellschaft hat, durch den Nutzen der neuen Änderungen für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung übertroffen wird und

 

3. die nutzbringenden Ziele, denen diese Änderungen des Oberflächenwasser- oder Grundwasserkörpers dienen sollen, aus Gründen der technischen Durchführbarkeit oder auf Grund unverhältnismäßiger Kosten nicht durch andere Mittel, die eine wesentlich bessere Umweltoption darstellen, erreicht werden können.

 

Aus dem Gesetzeswortlaut geht klar hervor, dass alle drei aufgezählten Elemente (§ 104a Abs 2 Z 1 – 3 WRG) für eine Ausnahme vom Verschlechterungsverbot kumulativ vorliegen müssen. Bei § 104a Abs 2 Z 1 und Z 3 WRG handelt es sich im Wesentlichen um relativ klar überprüfbare Merkmale, da diese technischer, ökologischer, oder ökonomischer Natur sind. Bei § 104a Abs 2 Z 2 WRG gestaltet sich die Angelegenheit – insbesondere aus rechtlicher Perspektive – jedoch komplizierter, da die Norm unterschiedliche Fälle vorsieht und verschiedene Argumente herangezogen werden können. Fraglich ist daher insbesondere, wie § 104a Abs 2 Z 2 WRG zu interpretieren ist.

 

Die im Rahmen der letzten Ausgabe des gegenständlichen Magazins ua aus § 105 WRG gewonnene Erkenntnis, wonach besonders wichtigen „Grundsätzen, Prinzipien und Zielen“ bzw daraus entspringenden öffentlichen Interessen ein gewisser Vorrang gegenüber anderen öffentlichen Interessen einzuräumen ist, kann meines Erachtens aufgrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und des gegenständlich anzuwendenden WRG auch in diesem Kontext im Rahmen dieser eng gefassten Ausnahmebestimmung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots angewandt werden. Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit der gegenständlichen Vorschrift, der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und der einschlägigen Kommentarliteratur hat mich zu diesem Schluss gebracht. Daraus lässt sich ableiten, dass erneuerbare Energien bei solchen Interessenabwägungen, welche im Rahmen der Ausnahme des Verschlechterungsverbots durchgeführt werden, als legitimierende öffentliche Interessen heranzuziehen sind und diesen dabei eine gewisse Priorität gegenüber anderen übergeordneten öffentlichen Interessen zukommen muss. Für etwaige mit Kleinwasserkraftanlagen in Zusammenhang stehende Vorhaben ist diese Erkenntnis bedeutsam, da gerade diese hierdurch den grundsätzlich sehr eng gefassten Bereich des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots erfüllen können.

 

Hinsichtlich der konfligierenden öffentlichen Interessen im Kontext des § 104a Abs 2 Z 2 1. Fall WRG ist aus diesen Erkenntnissen ein logischer Rückschluss möglich. Wenn bei jenen öffentlichen Interessen, welche für ein Projekt sprechen, nur ein eingeschränkter Bereich herangezogen wird, sollte auch bei jenen öffentlichen Interessen, welche mit einem Projekt konfligieren, nur ein begrenzter Bereich bzw ein eingeschränktes Spektrum miteinzubeziehen sein. Die Gegenüberstellung von „einfachen“ öffentlichen Interessen gegenüber von übergeordneten öffentlichen Interessen, wäre meines Erachtens nicht im Sinne dieser offenbar bewusst gewählten unterschiedlichen Termini (öffentliche Interessen / übergeordnete öffentliche Interessen).

 

So sind als konfligierende öffentliche Interessen insbesondere all jene heranzuziehen, welche die Einhaltung der Umweltziele des WRG statuieren. Abschließende Klarheit, was weitere konfligierende öffentliche Interessen iSd § 104a Abs 2 Z 2 1. Fall WRG sind, besteht zu dem aktuellen Zeitpunkt meines Erachtens jedoch keine.

 

Es kann daher – ausgehend von dem aktuellen Stand der Rechtslage – zwischenzeitlich zusammengefasst festgehalten werden, dass Kleinwasserkraftanlagen Ausnahmen vom wasserrechtlichen Verschlechterungsverbot rechtfertigen können. Die Zeiten dafür sind gerade in Anbetracht unserer aktuellen nationalen Ausbauziele von Strom aus erneuerbaren Quellen (5 TWh aus Wasserkraft bis zum Jahr 2030 – siehe hierzu § 4 Abs 4 Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG)) und im Lichte der derzeitigen Rechtslage besser denn je.

 

II. Der Neuerungsbedarf des Österreichischen Wasserkataloges

 

Praktisch gesehen, gibt der Österreichische Wasserkatalog in Hinblick auf § 104a WRG eine zweckdienliche Anleitung für die handelnden Verwaltungsbehörden. Der Katalog schafft einen Überblick über die Auswahl der Kriterien für eine Interessenabwägung iSd WRG und soll dafür Sorge tragen, dass entscheidungsrelevante öffentliche Interessen bestmöglich in Verwaltungsverfahren berücksichtigt werden. Betrachtet man diesen Katalog genau, so kommt man zu dem Schluss, dass dieser lediglich § 104a Abs 2 Z 2 2. Fall WRG nicht aber § 104a Abs 2 Z 2 1. Fall WRG (übergeordnete öffentliche Interessen) behandelt (Anmerkung: Dass die gegenständliche Norm zwei Fälle hat, welche durch das Wort „oder“ voneinander getrennt sind, kann für den gegenständlichen Artikel als gegeben angesehen werden). Dies entspricht, sofern die handelnden Behörden lediglich diesen Katalog für etwaige Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot heranziehen, meiner Ansicht nach nicht den durch das Unionsrecht vorgegebenen gesetzlichen Grundlagen und ist daher unionsrechtlich bedenklich.

 

Der Österreichische Wasserrechtskatalog legt drei unterschiedliche Felder fest, welche bei Interessenabwägungen iSd § 104a Abs 2 Z 2 2. Fall WRG zu berücksichtigen sind. Diese setzen sich zusammen aus:

 

  • Energiewirtschaftliche und wasserkraftbezogene Kriterien
  • Ökologische Kriterien
  • Sonstige wasserwirtschaftliche Kriterien

 

Exemplarisch und zum Abschluss dieses Artikels möchte ich auf die energiewirtschaftlichen und wasserkraftbezogenen Kriterien des Katalogs eingehen.

 

Bei energiewirtschaftlichen Kriterien handelt es sich hauptsächlich um Kriterien rund um die technische Auslegung der Anlage und eine effiziente Nutzung des Wassers. Energiewirtschaftliche Kriterien lassen sich nach dem Österreichischen Wasserkatalog in die Unterkapitel Versorgungssicherheit, Versorgungsqualität, Klimaschutz und technische Effizienz einteilen.

 

Anzumerken ist, dass beim Kriterium der Versorgungssicherheit die Erzeugungsmenge angeführt ist. So sind dabei nur solche Anlagen in diesem Zusammenhang mit der besten Kategorie „hoch“ zu bewerten, welche über 50 GWh/a erzeugen. Dies ist mE unionsrechtlich bedenklich. Einerseits werden die Pläne der Europäischen Union, welche ua in der RL (EU) 2018/2001 (umgesetzt in dem EAG) hinsichtlich Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften konkretisiert wurden, dadurch deutlich abgeschwächt, andererseits sind im Regelfall gerade bei kleineren Wasserkraftanlagen auch nur kleinere Eingriffe in andere öffentliche Interessen notwendig.

 

Auch in Bezug auf den Klimaschutz wird vom Österreichischen Wasserkatalog die CO2-Vermeidung von großen Anlagen höher bewertet, als jene von kleinen Anlagen. Es kann meines Erachtens nicht sachgerecht sein, absolute Größen zur Beurteilung von relativen Auswirkungen heranzuziehen. Es ist selbsterklärend, dass bei solchen Anlagen mit weniger CO2-Einsparungen im Regelfall auch die Eingriffe in andere öffentliche Interessen entsprechend geringer sind. Diese genannten Kriterien können daher hinsichtlich der dort genannten absoluten Zahlen weder den nationalen Klimazielen, noch den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen.

 

Auch zum Beispiel Ferdinand Kerschner (Kerschner, VfGH 3. Piste und juristische Methode: Verfassungskonforme Auslegung verfassungswidrig?, RdU 2017/129, 190 (194)) ist zwar in einem anderen Zusammenhang aber mit ähnlichen Argumenten der Ansicht, dass jedes Rechtssubjekt am Klimaschutz mitwirken sollte. Im globalen Kontext stellt die Republik Österreich zwar eine kleine Einheit dar, leistet die Republik Österreich ihren Beitrag jedoch nicht, so kommt es zu negativen Auswirkungen auf dem gesamten Globus. Selbiges gilt mE auch für die Größe von Anlagen, wo jede Anlage für sich ihren Beitrag an der Energieproduktion und der CO2-Vermeidung leistet.

 

Wenn auch die Problematik und Schwierigkeit zur Ausarbeitung eines solchen Kataloges mir durchaus bewusst ist, wäre es meines Erachtens gerade aufgrund des im heurigen Jahr in Kraft getretenen EAG und im Lichte der geltenden Rechtslage erforderlich, diesen zu erneuern und an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Bis diese Erneuerung nicht stattgefunden hat, ist es daher ganz besonders wichtig, in den jeweiligen Verfahren konzise darzustellen, dass mit Kleinwasserkraftanlagen einhergehende öffentliche Interessen besonders gewichtig sind und hierbei zu unterstreichen, was alles vereitelt werden würde, wenn die mit Kleinwasserkraftanlagen einhergehenden öffentlichen Interessen in ihrer Gesamtheit nicht ausreichend berücksichtigt werden.