Kleinwasserkraft Österreich im Gespräch
mit EU-Parlamentarier Dr. Othmar Karas

Im Jahr 2020 feiert Österreich sein 25-jähriges Jubiläum als Mitglied der Europäischen Union. Zum Anlass des diesjährigen Jubiläums, aber auch wegen der momentanen Herausforderungen für die EU in Hinblick auf die Corona- und die Klimakrise, haben wir Dr. Othmar Karas zu einem Interview gebeten.

© Martin Lahousse

KÖ: Österreich feiert dieses Jahr 25 Jahre Mitgliedschaft bei der Europäischen Union, eine Entwicklung zu der Sie als erster Antragsteller im österreichischen Nationalrat 1985 beigetragen haben. Wie beurteilen Sie heute, 35 Jahre nach dem Einbringen Ihres Antrags im Nationalrat und 25 Jahre nach dem tatsächlichen Beitritt Österreichs zur EU, die vergangenen Jahre als Mitglied der EU?

 

Karas: Der EU-Beitritt vor 25 Jahren ist neben dem Staatsvertrag vor 65 Jahren die wichtigste Zukunftsentscheidung, die Österreich je getroffen hat. Seither hat sich viel getan und die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Durch die europäische Integration hat Österreich laut WIFO heute um 16 Prozent mehr Wohlstand und um 13 Prozent mehr Arbeitsplätze, als es ohne den EU-Beitritt, die Erweiterung und den Euro hätte. Um die 650.000 neue Jobs sind laut Statistik Austria von 1995 bis 2018 entstanden. Österreich ist vom Rand ins Zentrum Europas gerückt. Unsere gemeinsame Währung, der Euro, wurde Wirklichkeit und ist stärker und härter als der Schilling je war. Die Inflation ist heute mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit niedriger als zu Schilling-Zeiten. Der EU-Binnenmarkt hat sich zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt entwickelt, von dem Österreich zuletzt mit 36 Milliarden Euro pro Jahr profitierte. Der österreichische Außenhandel mit den anderen EU-Mitgliedstaaten ist langfristig um 46 Prozent gestiegen – 2018 waren knapp 70 Prozent der österreichischen Warenexporte für die EU bestimmt. Es liegt in unserem österreichischen Interesse Motor und Herz für die Weiterentwicklung der EU zu sein. Gerade in Zeiten der Krise. Denn so wie die Finanz- und Staatsschuldenkrise aus 2008 und die Flüchtlingskrise aus 2015 zeigt auch die aktuelle Corona-Krise, dass unser Haus Europa noch nicht fertig gebaut ist.

 

KÖ: Die Corona Krise wird von vielen als eine der schlimmsten Krisen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet, mit wirtschaftlich dramatischeren Folgen als die globale Finanzkrise 2008. Die erste Reaktion der meisten Mitgliedsstaaten der EU war allerdings nicht von Solidarität, sondern von Eigenfokus geprägt. Sie fordern stattdessen EU-Aufbau-Anleihen zur Finanzierung der Aufbauhilfen und eines Zukunftsprogramms für Europa, welche einmalig, zweckgebunden und befristet sein müssen. Dieser Ansatz wird kontrovers diskutiert und eine Umsetzung erscheint ungewiss – was spricht für Aufbau-Anleihen und wie schätzen Sie die Chance der Verwirklichung dieser Idee ein?

 

Karas: Das Europaparlament hat sich Mitte April mit großer Mehrheit für gemeinsame, solidarische Aufbau-Anleihen ausgesprochen, die vom EU-Budget besichert sind. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sie ausdrücklich angekündigt. Und auch der Plan der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für einen 500 Milliarden Euro-Wiederaufbaufonds sieht sie vor. Fest steht, wir müssen neben dem Wiederaufbau auch unsere Zukunftsherausforderungen bewältigen. Das schaffen wir nicht ohne starkes EU-Langzeitbudget und mehr eigene Einnahmen der EU, sogenannte Eigenmittel. Denn zum einen haben Mitgliedstaaten durch die Corona-Krise und die schrumpfende Wirtschaftsleistung weniger Geld zur Verfügung. Zum anderen gibt es einen weitaus höheren Bedarf für den Kampf gegen die Rezession, den Klimawandel und die Gestaltung der Digitalisierung. Für eine Erhöhung des EU-Budgets gab es schon vor der Krise keinen Konsens unter den EU-Staaten. Daher habe ich bereits letzten November sogenannte Zukunftsanleihen vorgeschlagen, die jetzt in Form der Aufbau-Anleihen realisiert werden. Klar ist: Aufbau-Anleihen sind keine klassischen Eurobonds und keine allgemeine Vergemeinschaftung der Schulden. Sie sind durch das EU-Budget besichert, zeitlich befristet, in die Zukunft gerichtet, zweckgebunden und mit EU-Recht vereinbar. Das völlig unnötig an die Wand gemalte Schreckgespenst der Verschuldungsunion ist damit vertrieben.

 

KÖ: Die EU-Kommission hat Anfang des Jahres den Green Deal angekündigt. Dieser ist jedenfalls sehr ambitioniert, immerhin soll die EU in 30 Jahren klimaneutral sein. Aber ist der Green Deal mit diesen Zielen für Europa auch realistisch? Aktuell scheinen die Mitgliedsstaaten in vielen Fragen zerstritten zu sein. Wird man sich einigen können?

 

Karas: Man wird sich einigen müssen. Die Krise muss zum Motor für die Neuordnung der Europäischen Union werden und dabei ist der Green Deal ein zentrales Element. Die Bewältigung des Virus allein macht uns noch nicht zukunftsfit. Es geht neben der unmittelbaren Bewältigung der Krise und des Wiederaufbaus auch darum, glaubwürdige Antworten auf Zukunftsfragen wie den Klimawandel und die Digitalisierung zu geben. Wenn unsere Kinder für die Schulden von heute aufkommen müssen, dann ist es das Mindeste, dass wir jetzt in ihre Zukunft investieren. Der Green Deal, ein „White Deal“ für den Gesundheits- und Sozialbereich, die Digitalisierungs- und Standortstrategie, ein Binnenmarkt der sozialen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sowie die vier Freiheiten und die Grundrechte der EU sind unser gemeinsamer Kompass in die Zukunft.

 

KÖ: 180 MinisterInnen, PolitikerInnen, UnternehmerInnen, NGOs, Gewerkschaften und ExpertInnen haben die Forderung einer Green Recovery an die EU-Kommission gestellt, um die Bewältigung der Corona Krise gemeinsam mit dem Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft zu schaffen und den Klimaschutz nicht hintenanzustellen. Die Unterstützer sehen gerade jetzt die Chance, Tempo in den Klimaschutz zu bekommen. Sie haben diese Initiative bisher nicht unterstützt – warum? Wäre eine Green Recovery nicht wichtig, um auch den Green Deal zu schaffen?

 

Karas: Nicht umsonst spricht sich das Europaparlament mit großer Mehrheit für Europas „Wiederaufbau und Transformation“ aus. Der Kampf gegen den Klimawandel bleibt nach dem Ausweg aus der Coronakrise eines der wichtigsten Themen für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder, ja für die Zukunft der Menschheit. Um in diesem Kampf erfolgreich zu sein, haben wir den Green Deal beschlossen und wir müssen ihn jetzt so rasch wie möglich umsetzen und selbstverständlich auch finanzieren. Mehr Geld für Forschung, Entwicklung und Innovation ist prioritär, damit wir in Europa Weltmarktführer in Zukunftstechnologien werden. Das habe ich immer vertreten und dazu stehe ich. Dass sich die von Ihnen erwähnte Initiative dafür einsetzt, begrüße ich.

 

KÖ: Einer Ihrer Schwerpunkte in der EU ist der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, wobei Sie die Notwendigkeit einer kohlenstoffarmen Kreislaufwirtschaft betonen und im Jänner 260 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen für den Green Deal gefordert haben. Sollen Ihrer Meinung nach auch Gelder in Ausbau der Wasserkraft in Europa fließen?

 

Karas: Die Wasserkraft leistet seit Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung in Österreich und ganz Europa. Im Hinblick auf die ambitionierten europäischen Ziele für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und die bevorstehende Energiewende, müssen wir auf eine Modernisierung und Erweiterung bestehender Anlagen setzen, wenn das nutzbare Potenzial in den betreffenden Ländern und bereits zu weiten Teilen ausgeschöpft ist. Dort wo es Möglichkeiten gibt, neue Wasserkraftwerke entstehen zu lassen, muss das mit den ökologischen Gegebenheiten, den topgraphischen und geographischen Verhältnissen der Mitgliedstaaten und Regionen vereinbar sein. Investitionen in erneuerbare Energiequellen sind Investitionen in unsere Zukunft. Auch für die Wasserkraft müssen wir die notwendigen Gelder in die Hand nehmen.       

 

KÖ: Sie sind laut Wikipedia in Ybbs an der Donau geboren, in Scheibbs an der Erlauf zur Schule gegangen und waren 1984 bei der Besetzung der Hainburger Au aktiv. Sie kennen also Klein- und Großwasserkraft sowohl von Ihrem Lebensumfeld als auch durch die politische Tätigkeit. Welches Verhältnis haben sie zur Wasserkraft? Soll diese in Österreich noch ausgebaut werden?

 

Karas: Ich bin ein engagierter und leidenschaftlicher Verfechter der ökosozialen Marktwirtschaft. Auf dieser Grundlage stehe ich auch zur Wasserkraft. Wirtschaft-, Umwelt-, Sozial- und Gesellschaftspolitik müssen vereinbar sein. Wasserkraft ist eine wichtige erneuerbare Energiequelle, die Österreich schon früh als Vorreiter genutzt hat, um eine ökologisch verträgliche Bilanz in der Stromerzeugung zu erzielen. Wir müssen weiter auf den Ausbau der Wasserkraft setzen, wo es mit berechtigten Umweltschutzbedenken vereinbar ist. Österreich hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 100 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen zu generieren. Dabei ist und bleibt die Wasserkraft ein wichtiger Faktor. Die Energiewende in Österreich und Europa braucht Wasserkraft. 

 

KÖ: Sie gelten als Politiker, der die Notwendigkeit eines gemeinsamen, starken und solidarischen Europas betont. Welche europäische Solidarität benötigt es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten - insbesondere hinsichtlich des Klimaschutzes und der Energiewende? Welche Maßnahmen müssen hier von der EU gesetzt werden? Was kann und soll sich Österreich auch allein umsetzen, wenn auf EU-Ebene zu wenig passiert?

 

Karas: Die Herausforderungen, denen wir heute gegenüberstehen, kennen weder nationale noch kontinentale Grenzen. Das gilt sowohl für den Coronavirus als auch für den Klimawandel. Deshalb können wir die Fragen von Klimaschutz und Energiewende nicht isoliert betrachten. Allein zu handeln, löst kein Problem. Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung. Mit dem Green Deal, den Klimazielen und dem Recovery Plan haben wir einen klaren Fahrplan. Dazu gehört die Vollendung des Energieunion, der Atomausstieg und der Ausbau der erneuerbaren Energien. Dafür muss jedes Land seinen Beitrag leisten. Die Erkenntnisse aus den nationalen Energie- und Klimaplänen müssen auf europäischer Ebene gebündelt und koordiniert werden. Dabei ist jedes Land eingeladen, mehr zu tun, eine Vorreiterrolle einzunehmen und seine Erfahrungen in den gemeinsamen Prozess einzubringen. Österreich hat sicherlich eine solche Vorreiterrolle bei der Nutzung der Wasserkraft. Unsere Ziele in Europa und der Welt erreichen wir nur gemeinsam. So wird das Ganze zu mehr als die Summe seiner Teile.

 

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Dr. Karas war bei der Jungen ÖVP bereits Mitte der 1980er mit dem Arbeitsschwerpunkt „Für ein Europa ohne Grenzen“ pro-europäisch engagiert. Seit 1999 ist er Mitglied des Europäischen Parlaments, von 2006 bis 2019 als Delegationsleiter der ÖVP. Im vergangenen Jahr wurde er erneut zum Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments gewählt und ist Mitglied der Parlamentsausschüsse für Wirtschaft und Währung, ebenso wie für Industrie, Forschung und Energie.