Kleinwasserkraft Österreich im Gespräch
mit Österreichs Energie Präsident Dr. Michael Strugl

Am 15. Juni 2020 übernahm Dr. Strugl das Amt des Präsidenten von Oesterreichs Energie für drei Jahre. Im Jänner 2021 wird er darüber hinaus den Vorstandsvorsitz der VERBUND AG von Wolfgang Anzengruber übernehmen. Vor seiner Tätigkeit beim Verbund war Strugl unter anderem Landeshauptmann-Stellvertreter in Oberösterreich und als Landesrat für die Energie Agenden zuständig. Kleinwasserkraft Österreich sprach mit Ihm über seine Zielsetzung als Präsident von Oesterreichs Energie, die Auswirkungen der Coronakrise auf die E-Wirtschaft und die Positionen zu Gesetzesentwürfen.

© Österreichs Energie, Christian Fürthner

KÖ:  Vor Kurzem wurden Sie zum neuen Präsidenten von Oesterreichs Energie für eine Funktionsperiode von drei Jahren gewählt. Was werden Ihre inhaltlichen Schwerpunkte im Rahmen dieser neuen Aufgabe sein? 

 

Strugl: Mein Start in diese Position war – wie derzeit alles – von der Corona Krise geprägt. Auch wenn die E-Wirtschaft die Krise bislang gut gemeistert hat, wird uns die schwierige wirtschaftliche Situation insgesamt noch lange zu schaffen machen. Wir müssen unsere Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Die Unternehmen der E-Wirtschaft und Strom aus erneuerbaren Energien können dabei einen wesentlichen Beitrag leisten. Entscheidend ist nun, dass wir rasch in den Ausbau der Erneuerbaren investieren und dabei die Versorgungssicherheit nicht aus dem Blick verlieren. Denn wir befinden uns im Energiebereich in einem umfassenden Transformationsprozess, der wesentlich mehr umfasst als den Ausbau erneuerbarer Energiequellen. Strom aus erneuerbaren Quellen wird künftig zu einem großen Teil fossile Energieträger in jenen Bereichen ersetzen müssen, in denen diese derzeit noch dominieren: im Verkehr und in der Raumwärme. Zusätzlich wird vor allem in der Industrie immer mehr grünes Gas zur Anwendung kommen. Diese Entwicklungen gilt es in den kommenden Jahren auch aus Sicht der E-Wirtschaft zu gestalten.

 

KÖ: Das Ziel der aktuellen Regierung ist es, in Österreich bis 2030 Strom nur noch aus Erneuerbaren Energien zu beziehen. Was braucht es, um dieses Ziel mit dem notwendigen Ausbau der Erneuerbaren zu erreichen, und wie realistisch ist die Umsetzung?

 

Strugl: Um das im Regierungsprogramm vorgesehene 100 %-Ziel bei der Deckung des Gesamtstromverbrauchs aus erneuerbaren Energien bis 2030 zu erreichen, brauchen wir 27 TWh zusätzlichen Strom aus erneuerbaren Energien – das ist beinahe so viel wie der gesamte Stromverbrauch von Dänemark. Das bedeutet aber nicht nur, dass wir unsere erneuerbaren Kapazitäten massiv ausbauen müssen. Neben 11 TWh zusätzlichem erneuerbaren Strom aus PV, 10 TWh aus Wind, 5 TWh aus Wasser und 1 TWh aus Biomasse bis 2030 müssen wir auch unsere Netze ausbauen sowie mehr und neue Speichermöglichkeiten schaffen. Das Angebot an erneuerbarem Strom schwankt nicht nur mit Sonne und Wind, sondern auch im saisonalen Jahresverlauf. Damit wir die Qualität und Sicherheit unserer Versorgung weiterhin auf unserem sehr hohen Niveau garantieren können, muss es uns zu jedem Zeitpunkt gelingen, diese Schwankungen auszugleichen. Nur wenn wir immer über genügend Strom verfügen, wird es uns zukünftig möglich sein, vollständig auf fossile Energieträger zu verzichten. 

 

Zwei Gesetze sind dafür entscheidend: das EAG – das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – und die Novellierung des Energieeffizienzgesetzes. Diese beiden Gesetze sollen uns künftig klare Rahmenbedingungen und damit Investitionssicherheit bieten. Die Zeit drängt hier mittlerweile aber sehr – bis 2030 bleiben weniger als zehn Jahre. Für ein Infrastrukturprojekt in diesen Dimensionen ist das eine sehr kurze Zeit. Wie realistisch eine Umsetzung in diesem engen Zeitplan ist, lässt sich derzeit schwer abschätzen, weil sie von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Was wir allerdings mit Sicherheit sagen können ist, dass die Zielerreichung mit jedem Tag schwieriger wird, den wir ungenutzt verstreichen lassen. Der Zeitverlust rächt sich in einer Situation, in der wir wirtschaftliche Impulse dringend nötig haben aber doppelt: insgesamt sind die Potentiale, die wir beim Ausbau der Erzeugung aus erneuerbaren Energien haben, derzeit noch groß: wir schätzen das Investitionsvolumen hier auf 25 Mrd. Euro, die wiederum 18 Mrd. Euro an Wertschöpfungseffekten auslösen würden. Damit könnten wir insgesamt etwa 180.000 Vollzeitarbeitsplätze sichern bzw. schaffen. Ich denke das ist die Art von Impuls, die die heimische Wirtschaft jetzt brauchen würde. 

 

Um die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und die dafür nötigen Netze auszubauen, müssen wir Systemblockaden und administrative Hemmnisse möglichst rasch beseitigen. Im Moment stehen lange Genehmigungsverfahren und unkalkulierbare Aufschübe, die die Projekte teurer als nötig machen, allzu oft auf der Tagesordnung. Wir brauchen daher ein zeitgemäßes Energierecht und finanzielle Anreize für den Ausbau erneuerbarer Energie, die bei den derzeitigen Marktpreisen nicht marktfähig sind. Wenn der Umbau des Energiesystems und der Aufbau der dafür nötigen Energieinfrastruktur schnell gelingen sollen, brauchen wir neben breiter Akzeptanz auch neue Spielregeln: schnellere Verfahren, eine ausreichende Anzahl an informierten Sachverständigen, ein klar definiertes Ende des Verfahrens, eine Ausweitung des One-Stop-Shops für Betriebsanlagen und vieles mehr. Selbst im Wohnungseigentumsgesetz braucht es Änderungen: es kann nicht sein, dass Sie die Zustimmung aller WohnungseigentümerInnen einholen müssen, wenn Sie auf ihrem Garagenplatz eine Lademöglichkeit für ein Elektrofahrzeug einbauen wollen. 

 

KÖ: Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ist entscheidend für die Zukunft der Erneuerbaren Energien in Österreich. Zwar wurde noch kein Entwurf veröffentlicht, dennoch sind schon einige Eckpunkte bekannt. Halten Sie das Gesetz für ambitioniert genug?

 

Strugl: Wir erwarten täglich den Begutachtungsentwurf und sind zuversichtlich, dass unsere zentralen Forderungen darin enthalten sein werden: Investitionssicherheit für alle erneuerbare Anlagen durch flexible Marktprämien, die technologiespezifisch gewährt werden; eine klare und längerfristige Grundlage für jene Kraftwerke, die nicht mehr wirtschaftlich, für die Netzreserve – und somit für die Versorgungssicherheit – aber unerlässlich sind; klare Regelungen für Energiegemeinschaften um etwaige KritikerInnen von Projekten zu Beteiligten machen zu können. 

 

Wir hören aber auch, dass es in dem Gesetz noch einige Punkte gibt, die wir kritisch sehen. Zum Beispiel sind bei der Wasserkraft Genehmigungskriterien hinsichtlich Förderfähigkeit geplant, die die Erreichung des schon jetzt schwer realisierbaren Ziels von 5 TWh gänzlich unmöglich machen werden. Wasserkraftwerke können schon derzeit nur unter strengen ökologischen Bedingungen, die in den Genehmigungsverfahren geprüft werden, errichtet werden. Wenn jetzt noch zusätzliche Bedingungen an die Förderfähigkeit geknüpft werden, wird das dazu führen, dass man auf eine relativ stabile, systemrelevante Erzeugungsform de-facto verzichtet. Dagegen werden wir natürlich im Zuge der Begutachtung auftreten.

Sonst sind wir auf die Details des größten und wichtigsten Gesetzespakets seit Langem gespannt und bereit, den Entwurf mit unserer Expertise einem kritischen Fakten-Check zu unterziehen.

 

KÖ: Aktuell wird auch an einem rechtlichen Rahmen für Energiegemeinschaften gearbeitet. Vor welche Herausforderungen stellen diese dezentraleren Gemeinschaften mit teils volatileren Erzeugungsformen die Energiewirtschaft? Wie sieht Österreichs Energielandschaft im Jahr 2030 für Sie idealerweise aus?

 

Strugl: Das Umfeld der E-Wirtschaft verändert sich derzeit rapide. Während einerseits neue Player wie Energiegemeinschaften in das Energiesystem integriert werden sollen, muss gleichzeitig die Versorgungssicherheit weiterhin immer gewährleistet bleiben. Damit das in Zukunft funktionieren kann, brauchen neue und alte Player faire Regeln und eine transparente Rollenverteilung mit klaren Rechten und Pflichten. Wenn wir ein dezentraleres Energiesystem etablieren wollen, muss es uns gelingen, einen attraktiven Markt für neue AnbieterInnen zu schaffen ohne zusätzliche Kosten auf KundInnen oder andere MarktteilnehmerInnen abzuwälzen – und natürlich ohne die Stabilität unserer Versorgung zu gefährden. Unsere Netzinfrastruktur ist in diesem Fall der Flaschenhals, der möglichst effizient genutzt werden muss. Wichtiges Steuerungsinstrument ist hier die Strukturierung der Netzgebühren. Wir haben hier bereits Vorschläge erarbeitet und suchen regelmäßig den Dialog mit StakeholderInnen, um unser Wissen einzubringen. 

 

KÖ: Welche Rolle haben Energieversorgungsunternehmen in dieser Energielandschaft? 

 

Strugl: Ich denke, eine der wesentlichsten Veränderungen in der neuen Energiewelt ist, dass sich viele unserer Unternehmen nicht mehr auf eine Rolle beschränken werden. Die E-Wirtschaft wird bei diesem Thema neben ihren klassischen Aufgaben auch Funktionen als Enabler und Koordinator übernehmen. Für unser Geschäft heißt das, dass wir neben unseren etablierten Versorgungsleistungen künftig deutlich stärker mit Serviceangeboten am Markt präsente sein werden. Davon abgesehen bin ich aber davon überzeugt, dass unsere Unternehmen auch in Zukunft das Rückgrat unseres Energiesystems bilden und eine zentrale Rolle bei der Energiewende spielen werden.

 

KÖ: Batteriespeicher kommen vermehrt als Regelkraftwerk bzw. zur Bereitstellung von Netzstabilisierungsleistungen zum Einsatz. Welche Rolle werden diese in der grünen Energiewende einnehmen?

 

Strugl: Der Ausbau der erneuerbaren Energien bringt eine Reihe von Herausforderung mit sich: witterungsbedingt müssen kurzfristige und saisonale Schwankungen zwischen Sommer und Winter ausgeglichen werden. Wir schätzen, dass der Bedarf an Ausgleichsenergie ab dem Jahr 2030, bezogen auf den täglichen bzw. wöchentlichen Stromverbrauch, bei etwa vier TWh liegen wird. Für den saisonalen Ausgleich zwischen dem Sommer- und dem Winterhalbjahr werden wir voraussichtlich rund zehn TWh benötigen. 

 

Beim Ausgleich der kurzfristigen Schwankungen bilden unsere Pumpspeicher mit einer Jährlichen Leistung von 2,7 TWh derzeit die wichtigste Säule – das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Auch groß dimensionierte Batteriespeicher können derzeit nur im Minutenbereich Energie zur Netzstabilisierung im großen Maßstab bereitstellen und eignen sich daher nicht für dieses Einsatzgebiet. Geht es aber um geringere Strommengen, sind Batterien eine interessante Option. Im Niederspannungsbereich könnten netzdienliche Batteriespeicher etwa eine Rolle als Problemlöser übernehmen. Auch bei Schnelladestationen könnten Batterien als lokale Pufferspeicher zur Entlastung der Stromnetze beitragen und netzdienliche Services zur Verfügung stellen. 

 

KÖ: In vergangenen Interviews haben Sie erwähnt, dass Sie eine CO2-Bepreisung für notwendig und sinnvoll erachten. Wie könnte eine adäquate CO2-Bepreisung ausgestaltet sein?

 

Strugl: Grundsätzlich befürworten wir eine Bepreisung von CO2. Ich denke aber, dass es angesichts der Corona-Krise und des kommenden EAGs derzeit dringendere Themen gibt. Wenn wir die Dekarbonisierung vorantreiben wollen, werden wir uns aber früher oder später mit dieser Frage beschäftigen müssen. Das bestätigen auch bestehende Gutachten einhellig.

 

Zu Ihrer Frage nach der Ausgestaltung: die E-Wirtschaft ersteigert im Rahmen des ETS – des Europäischen Emissionshandelssystems – seit 2013 die Zertifikate für die Emissionen aus der thermischen Stromerzeugung zur Gänze und unterliegt damit bereits einer Form der CO2-Bepreisung. Wir leisten also auch bei den Emissionen bereits einen finanziellen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele. Es ist daher für uns wesentlich, dass es im Rahmen einer möglichen Bepreisung von CO2 zu keiner weiteren Verteuerung des Energieträgers Strom kommt. Im Gegenteil – sinnvoll wäre es, die Elektrizitätsabgabe auf die EU-Mindestsätze zu senken. Was das genaue Modell betrifft, nach dem CO2 einen Preis erhält, haben wir derzeit keine Präferenz. Beide Systeme – also CO2-Steuer und Emissionshandel – haben ihre Vor- und Nachteile und können zur Zielerreichung beitragen, wenn sie klug gestaltet werden.

 

KÖ: Sie nennen Green Finance als einen Hebel zur Finanzierung und Beschleunigung der Energiewende – wie könnte das konkret funktionieren?

 

Die Energiewende ist ein Infrastrukturprojekt, das nur mit massiven Investitionen realisiert werden kann. Diese Investitionen müssen irgendwie finanziert werden. Die Idee hinter Green Finance ist es, Anreize für nachhaltige Investitionen gegenüber konventionellen Investitionen zu schaffen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit einem niedrigen Zinsniveau und umfassenden staatlichen Investitionsprogrammen verlieren solche Instrumente zwar etwas an Zugkraft, der Finanzsektor wird in den kommenden Jahren aber noch eine bedeutende Rolle bei der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft spielen. Es ist daher wichtig diesen Bereich künftig stärker in die Pflicht zu nehmen. Noch wichtiger als die Art der Finanzierung ist aber die Frage, ob die notwendigen Projekte wirtschaftlich darstellbar sind. Sollte das nicht der Fall sein, werden sie nämlich nicht realisiert werden – weder grün noch konventionell. 

 

Wir danken für das Gespräch.