Brigitte Reitter

Die Verbundenheit mit Wasser und Natur zeichnet Brigitte Reitter, unsere Wasserkraftkollegin aus Deutschland, aus. Sie ist dabei nicht nur in ihrer Baden-Württembergischen Heimat im Verband aktiv, sondern unterstützt auch den europäischen Dachverband mit ihrer umfassenden Expertise.

 

Sie sind sehr naturverbunden, in einem schwäbischen Dorf, mit viel Wald vor der Tür aufgewachsen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit für die Kleinwasserkraft aus?

Nach einigen Blicken über den Tellerrand bin ich wieder in meinem schwäbischen Dorf gelandet – und wohne nun sogar selbst im Wasserkraftwerk, umgeben von Wäldern und Wiesen. Die Natur hier im Donautal ist atemberaubend. Bachstelzen, Biber, Rehe, Füchse, Hasen – hier ist die Welt noch in Ordnung.

Ich gehe regelmäßig meine Wärterinnenrunde, aktiviere die Rechenreinigungsmaschine, fülle Öl und Fett nach, kontrolliere die Temperaturen der Maschinen und die Wasserstände. Dieser praktische Bezug bereichert meine Arbeit auf der politischen Ebene, ob in Baden-Württemberg, Berlin oder Brüssel, ungemein. Ich kenne sowohl die Technik als auch die Natur vor meiner Haustür und ich lebe mit beidem. Und damit vermischt sich auch das Leben mit und Arbeiten für die Wasserkraft.

 

Naturverbunden, gleichzeitig beruflich und familiär mit der Kleinwasserkraft beschäftigt. Manche Menschen meinen, das passt nicht zusammen. Also: Passt das?   

Die Kleinwasserkraft, so wie ich sie kenne, ist pure Naturverbindung. Das Kraftwerk meiner Familie liegt im Naturschutzgebiet der Donau. Aus der ehemaligen Klostermühle wurde im Jahre 1903 eine Wasserkraftanlage. Hier steckt viel Geschichte drin: das Kraftwerk sollte eine Zementfabrik mit Strom versorgen, die im Frühjahr 1903 die Arbeit aufnahm – und im Oktober 1904 abbrannte. Heute hat sich die Natur die Ruinen der Zementfabrik zurückgeholt und wir speisen mittlerweile den Strom in das örtliche Netz ein. Von den drei Francis-Turbinen aus dem Jahre 1902 generiert eine heute noch Strom. Die beiden anderen wurden in den 90er Jahren durch neue Technologien ersetzt. Das Kraftwerk kann auf Nachfrage auch besichtigt werden.

Und die Wasserkraft ist ehrlich. Wir nutzen die Ressourcen vor Ort für die Energie, die wir benötigen. Ich weiß, woher mein Strom kommt, Ursache und Wirkung sind direkt zuordenbar – etwas, das in der Welt heute, wo vieles entkoppelt ist, selten ist. Ich kann mich hier direkt mit meinem persönlichen Lebensstil auseinandersetzen.

 

Das Unternehmen Reitter-Wasserkraft ist ein traditionelles Familienunternehmen am Oberlauf der Donau. Wollen Sie uns etwas über Ihre Geschichte verraten?

Mein Großvater Anton belieferte nach dem Krieg als Holzhändler die Holzstofffabrik in unserem Heimatort und erwarb sie 1967. Mein Vater Elmar übernahm den Betrieb 1987.  Als die Papierindustrie in den 90er Jahren in die Krise kam wurde der Betrieb stillgelegt. Was blieb war die Wasserkraft, die die Fabrik mit Strom versorgt hatte.

Die Geschichte der Region hängt eng mit der Wasserkraft zusammen und berührt auch meine Familie. Und trotzdem sind wir dem Ruf der Zeit gefolgt und haben uns weiterentwickelt: der Naturschutz spielt heute eine wichtigere Rolle und hat zu vielen Veränderungen im Bereich Renaturierung und Fischschutz geführt.

Mir ging es immer darum die Welt in ihrer Vielfalt kennenzulernen. Darum war für mich klar, dass ich nach dem Abitur erst einmal hinauswollte. Ich habe mich für Lateinamerika und Umweltschutz interessiert. Jetzt sind wir, meine Geschwister und ihre Familien, ins Unternehmen eingebunden. Damit decken wir die Themenbereiche Maschinenbau, Informatik, Personalwesen, Ökologie und Public Affairs ab.

 

Hauptberuflich sind Sie als Natur-Coach tätig. Können Sie uns mehr darüber erzählen? Und hilft das auch bei Arbeit in den Verbänden?

In meiner freiberuflichen Tätigkeit als systemische Organisationsberaterin designe und moderiere ich Beteiligungsveranstaltungen und Seminare für Führungskräfte und Teams. Außerdem biete ich Naturcoaching an. Das Naturcoaching ist ein ganzheitlicher Ansatz, in dem es darum geht, persönliche oder berufliche Themen in Resonanz mit der Natur zu klären und den Kopf dabei mal auszuschalten. So lassen sich Antworten finden, auf die man durch Nachdenken nicht gekommen wäre.

Wer in der Wasserkraftbranche politisch tätig ist hat viel mit Konfrontationen zu tun und es gibt häufig Rückschläge. Das kann schon mal frustrierend sein. Das Naturcoaching fließt dann auf persönlicher Ebene ein, insofern dass ich aus der Natur Kraft schöpfen und meine Haltung reflektieren kann.

 

In Europa gibt es seit Jahren harsche Kritik an der Kleinwasserkraft seitens mancher NGOs. Oft scheint es – zumindest in Österreich - dabei kaum möglich, mit Umweltaktivisten eine Diskussion auf fachlicher Ebene zu führen. Wie ist die Situation in Deutschland? Kann man reden oder muss man streiten?

 

Die Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg (AWK) e.V., in der ich als Beirätin tätig bin, sucht aktiv den Dialog mit den Umweltverbänden. Als systemische Beraterin und Naturcoach ist es mir wichtig, miteinander und nicht übereinander zu reden. Als Mediatorin weiß ich um den großen Unterschied zwischen einer vordergründigen Position und den tatsächlichen Interessen, die dahinter liegen.

Allerdings merke ich auch, dass hier über Jahrzehnte gegeneinander Stimmung gemacht und aufgeheizte Diskussionen geführt wurden. Jetzt scheint die Situation arg verfahren. Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir schnell gemeinsame Lösungen finden, weiß aber, dass wir hier viel Geduld brauchen werden. Denn die Grundlage für einen offenen Dialog ist Vertrauen und das schafft man nicht von heute auf morgen. Wir müssen uns wieder zuhören, unsere tatsächlichen Interessen (und nicht Positionen) kennenlernen und gemeinsame Lösungen erarbeiten – denn wir wollen alle gesunde und lebendige Flüsse. Gerade die Menschen, die an den Flüssen leben und arbeiten haben daran doch das größte Interesse!

 

In ihrer Karriere konnten Sie auch schon weit über den Tellerrand blicken, und einen tiefen Einblick in die Wasserpolitik in Lateinamerika gewinnen. Welche Eindrücke nehmen Sie von dort mit? Und kann vielleicht sogar Europa etwas davon lernen?

 

Bis 2016 war ich in der internationalen Zusammenarbeit tätig. Ich habe meine Diplomarbeit über einen geplanten Staudamm in Mexiko geschrieben, damals habe ich für den WWF gearbeitet. Dafür habe ich sowohl MitarbeiterInnen in den Ministerien interviewt als auch mit NGOs, Bauern und Fischern im Flussdelta gesprochen. Ich kenne die Probleme, die die Wasserkraft sozial und ökologisch auslösen kann, wenn sie an der Natur und den Menschen vorbeigeplant und umgesetzt wird. So etwas können wir uns in Deutschland ja gar nicht vorstellen.

Danach folgten Auslandseinsätze zu Grenzüberschreitendem Wasserressourcenmanagement in der Dominikanischen Republik und Haiti, an Mekong und Nil. Durch diese Arbeit konnte ich die internationale Bühne kennenlernen und meinen Wasser-Horizont enorm erweitern. Die großen politischen Zusammenhänge wurden mir dadurch klarer.

Und gleichzeitig würde ich sagen, haben diese Erfahrungen mir die Augen für die Zusammenhänge im Kleinen, also für die lokale Praxis, geöffnet. Und mit der Zeit entstand der große Wunsch, weniger auf einer übergeordneten politischen Ebene zu arbeiten, als mehr lokal zu handeln. Hier, in meinem Dorf, wird nicht nur über die Energiewende geredet – sie wird gemacht. Und dies im Einklang mit dem Naturschutz.

Gleichzeitig ist die Arbeit auf der internationalen Ebene weiterhin wichtig, um der Kleinwasserkraft auch in den entsprechenden Gremien Gehör zu verschaffen. So ist mir durch die Arbeit bei EREF (European Renewable Energies Federation) und die Vernetzung der europäischen Kleinwasserkraft-Verbände auch dieser Zugang sehr wichtig und bleibt ein essenzieller Teil meiner Arbeit.

Gerade die Verknüpfung von Makro- und Mikroebene, dieses Verständnis für die Sorgen der „kleinen Leute“ und den großen Rahmenrichtlinien und Gesetze zu Wasserkraft und Umweltschutz – mich in diesem Spannungsfeld zu bewegen und aktiv mitgestalten zu können - machen für mich einen großen Anreiz aus. Langweilig wird es hier nie.

Und was Europa von Entwicklungsländern lernen kann? Im internationalen Vergleich würde ich sagen, dass die Gesetze in Europa gut sind. Allerdings macht die Ausführung häufig Probleme, und zu viel wird durch die Bürokratisierung in der Verwaltung blockiert. Und ich denke, dass in ärmeren Ländern mehr Menschen in Verbundenheit mit der Natur leben, mehr als wir in Europa. Hier habe ich manchmal den Eindruck, die Menschen setzen sich nicht wirklich mit ihrer Beziehung zur Natur auseinander und haben trotzdem den Wunsch etwas „zum Besseren“ zu verändern. Daraus entsteht leider häufig blinder Aktionismus, der viel Geld kostet und den man einige Jahre später bereut und wieder ändern will. Wir sollten uns nicht nur untereinander mehr zuhören, sondern auch der Natur mehr lauschen.